Ein weiter Weg: 65 Jahre RIAS Kammerchor

von Hababuk Traber

Was als Nachteil erscheint, kann sich zum Vorzug wenden. Im Rückblick erweist es sich als gut, dass sich der Rundfunk im amerikanischen Sektor Berlins (RIAS) beim Aufbau seiner Musikabteilung nicht zur Gründung eines großen Rundfunkchors entscheiden konnte, sondern nur eine „kleine Lösung“ wählte. Damit war der RIAS Kammerchor, seit 15. Oktober 1948 eine feste Einrichtung, unter seinesgleichen ein kompletter Außenseiter. Andere Radiosender, auch die im Osten Berlins, beschäftigten zum Teil eine sängerische Hundertschaft, der RIAS Kammerchor musste sich mit einem Drittel dieser Teamstärke begnügen. Damals mochte man das vielfach als Mangel empfunden haben. Als Ideal galten – bei Laien wie bei Profis – die großen Chöre, die auch durch ihre Klangmacht beeindrucken konnten. Das war nicht nur hierzulande so. Doch irgendwann, ungefähr nach einem Drittel des geschichtlichen Weges, den der RIAS Kammerchor bisher zurücklegte, wandelten sich die Auffassungen. Die historische Aufführungspraxis, nicht der Idee, aber der ästhetischen Konsequenz nach neu, opponierte gegen die monumentale Überformung Alter Musik bei Bach und anderen Meistern der vorklassischen Epochen. Sie traf sich dabei mit Tendenzen in der neuen Musik, die klaren Klang, transparente Strukturen (gerade wegen ihrer Komplexität), sichere Intonation – und häufig eine Klangform wollten, die aus der Bedeutung und dem Engagement jeder und jedes Einzelnen ihre (Überzeugungs-)Kraft gewinnt. Musik sollte nicht nur beeindrucken, sie sollte sprechen und zum Hineindenken verlocken.

60 Jahre RIAS Kammerchor

RIAS Kammerchor mit Herbert Froitzheim, 1949